Endlich mal was Richtiges

 

Der Arzt sitzt hinter seinem Schreibtisch und schaut verzweifelt auf die Befunde in seiner Hand. Er räuspert sich.

Der Patient, der unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutscht, wirkt sehr ungeduldig. Dann beginnt der Arzt recht kratzig.

„Es ist nun doch nicht so, wie ich es mir wünschen würde.“

Der Patient schaut erwartungsvoll – fast neugierig von seinem Stuhl herüber.

„So eine Nachricht ist für mich immer die schwerste – jedes Mal. Ich will sie nicht länger quälen oder um den heißen Brei herum labern. Kurz! Sie haben Krebs im Endstadium.“

Der Patient verzieht keine Miene und es vergehen gut 30 Sekunden, die viel länger wirkten als jemals zuvor – jedenfalls für den Arzt.

„Krebs – im Endstadium.“ Wiederholt der Patient regungslos, ohne dabei besonders erregt zu wirken. Dann haut er sich auf die Schenkel. „Na das ist doch mal was Handfestes!“ plautst es kraftvoll aus ihm heraus.

Der Arzt schaut ihn, wie ein frisch geficktes Meerschwein – fast schon apathisch – an. Er versucht Luft zu bekommen, und fragt vorsichtig nach. „Sie wissen was das bedeutet?“

„Na ja, so ungefähr. Glaube ich zu mindest.“ Erwidert der Patient etwas lax.

Der Arzt hat sich nun wieder gefangen und beginnt sachlich und gleichzeitig zurückhaltend. „Ich kann ihnen nicht mehr helfen. Ich meine ich kann sie nicht mehr Heilen. Was der modernen Medizin noch verbleibt, ist es ihre Schmerzen zu lindern. Ich weiß nicht wie lange sie noch leben werden – vielleicht zwei, drei Wochen, Monate – vielleicht sogar ein Jahr, aber viel länger wird es nicht geh`n.“

„Na das ist doch mal was konkretes! Damit kann ich schon mal was anfangen. Darauf lässt sich doch eine Planung aufbauen.“ Freut sich der Patient und entspannt sich in seinem Stuhl.

Nun schaut der Arzt zum zweiten Mal, nur noch etwas größer – wie ein frisch gefickter Eber. „Sind sie schwer vom Begriff?!? Man sie sterben in den nächsten 12 Monaten!!!“

„Warum denn gleich so hysterisch, wie eine alte Jungfer in einer Finnensauner?!? Ich habe sie sehr gut verstanden. Aber wissen sie, meine Kinder sind aus dem Haus. Meine Frau hat sich einen jüngeren geschnappt und hat mich nur sehr langsam verlassen. Ich wäre für meine Frau in die Hölle gegangen – doch als ich dort war, hat sie mich dort verschrumpeln lassen und den Weg hinaus gesprengt. Seit her irre ich durch diese – es quälen mich wirre Gedanken und es ist mir nicht möglich los zu lassen. Um genau zu sein, dauerte es drei ganze Jahre, ehe sie endlich ausgezogen war. Bis dahin habe ich nie die Hoffnung aufgegeben gehabt, dass sie noch einmal zurück zu mir käme. Erst als sie auszog, war die größte Qual vorbei – immer nur für kurze Augenblicke – aber ich will ja nicht klagen. Kurze Zeit danach, ging meine Firma, bei der ich arbeitete, pleite. Ich wurde entlassen. Seit her bin ich vergebens auf der Suche nach Arbeit. Sicher, es ist eine harte Zeit – Rezession und so. Aber in meinem Alter nimmt man mich ehr noch zum Regale wischen als zum wirklichen Arbeiten. Wenn ich ehrlich sein darf – ich habe einfach nicht mehr den Spaß am Leben, dass es lebenswert macht. Mir schmeckt nicht einmal mehr ein guter Wein oder ein saftiges Steak. Ich muss zugeben, dass ich sehr, sehr Häufig an Suizid gedacht habe – mehrmals täglich – aber bisher noch keinen Endschluss finden konnte, ob - und wenn ja - wie. Und nun kommen sie und nehmen mir endlich die Kubiktonnen aus meinem matschigen Hirn, und nehmen mir jede Qual der Endscheidung ab. Danke! Wissen sie was? Vielleicht machen mir jetzt wenigsten die letzten Wochen noch mal so richtig Spaß?“

 

Ray Helming, 22.04.2004

 

letzte Bearbeitung: 29.01.2012 Literatur Kurzgeschichten Kontakt: Ray Helming